Heinrich Heine
18.04.05, 11:32
Der alte Gärtner unterbricht die Beschneidung des Obstbaumes und schaut kurz auf. Der Besitzer des Anwesens wird auf die Terrasse in seinem Rollstuhl geschoben. Etwas unwirsch befiehlt er seine Lieblingshunde zu sich und streichelt sie mit seiner knochigen Hand. Trotz des Alters erkennt man beim näheren Hinschauen, daß diese Hand nie harte Arbeit gesehen hat. Dennoch wird der Herr mit großem Respekt und voller Liebe behandelt.
Um den Hausherr vor der brennenden Sonne zu schützen, wird ein Sonnenschirm aufgestellt. Nachdem auf dem Tisch ein Kännchen Tee platziert, ein Teller mit Gebäck aufgestellt und eine orientalische Wasserpfeife neben dem Stuhl getragen wurde, öffnete man das Tor und viele kleine Kinder strömen in den Garten.
Sie dürfen alles und so sieht der Gärtner stirnrunzelnd zu, wie sie seine Arbeit durch Unaufmerksamkeit in Mitleidenschaft ziehen. Abgebrochene Blumen, Zertrampelte Beete, aufgescheuchte Vögel - aber das hat auch etwas Unbeschwertes. Er beginnt von seiner Jugend zu träumen und lächelt. Mutter ... Vater ....
Ein Schrei holt ihn in die Wirklichkeit zurück. Der alte Mann will vieles mehr, so beschwert er sich, das kein Kakao auf den Tisch bereitgestellt wurde.
Schnell, aber ohne Angst kommt eine junge Frau, die in ihrer Anmut an das berühmte Schokoladenmädchen erinnert und bringt das gewünschte Getränk, gießt es den Kindern in die Tasse, die keinen Tee möchten, und ordnet die Decke auf dem Schoß des Rollstuhlpatienten und verschwindet wieder unbemerkt.
Zufrieden lehnt sich der Alte zurück und beobachtet die schmatzenden und etwas aufgeregten Kindern, die voller Neugier immer häufiger in seine Richtung schauen und darauf warteten, das er nun endlich mit seiner Märchenstunde beginnen möge. Amüsiert will er dann auch ansetzen, aber bevor es richtig losgeht vertreibt er noch ein paar Bienen vom, inzwischen ebenfalls den Kindern gereichten, Kuchen.
Liebe Kinder, ich freue mich, daß ihr meiner Einladung gefolgt seit, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob es nicht der Kuchen und Kakao ist, der euch die Erzählungen eines alten Mannes besser ertragen läßt. So will ich denn auch endlich beginnen.
Vor langer Zeit, ich war noch ein junger Mann - hmmh ... es muß schon sehr lange her sein, also vor langer Zeit, da war ich ein recht berühmter Mann in Europa.
Bevor ich jedoch so berühmt wurde, war ich wie ihr ein Kind, das jeden Sonntag von einem alten Fürsten eingeladen wurde. Er erzählte Geschichten von Karl V., dem alten Fritz und Napoleon und erschwärmte von seinem Vermächtnis: Europa Universalis.
Der alte Mann schaute in das weite Land und versank für kurze Zeit in Nachdenken. Die Kinder wußten, daß er jetzt nicht gestört werden darf. Schließlich wurde jedoch das Vogelgezwitscher in den Bäumen so laut, daß der alte Mann weitersprach.
Ich habe mich entschlossen, dies Weiterzuführen, weil ich damals begeistert war und immer auch etwas für mich lernen konnte. Allerdings spreche ich nicht von jenen Europa Universalis sondern von Victoria.
Europa befand sich im Jahre 1881 in einer damals typischen normalen Schwierigkeit. Die Staaten waren noch nicht so aggressiv wie sie es heute sind. Die Diplomaten bewegten sich alle auf normalen,durchschnittlichen Niveau.
Eines Tages, ich war ein kleiner Sekretär im Außenministerium, der 1878 den Berlinder Kongreß vorbereitet hatte und mit seinen Eigeninitiativen zu ein paar wohlwollende Gespräche mit Otto von Bismarck eingeladen wurde, erhielt ich erneut Post von jenen großen Mann.
Order 1.03 c besagte unverzügliches Erscheinen vor dem inzwischen umstrittenen Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Ohne viel Federlesen kam er dann auch gleich zum Punkt, noch ehe ich ihn korrekt begrüßen konnte, aber er war eben immer in Zeitdruck.
Lieber Freund, ihr habt vor drei Jahren die Interessen der Osmanen in Berlin sehr gut diplomatisch vertreten, begann der eiserne Kanzler, und so ist es kein Wunder, daß ihr nicht nur uns, sondern auch fremden Mächten aufgefallen seit. Der Sultan erinnert sich an euch, und da sein erster Minister kürzlich verstarb, bat er mich, euch das Angebot zu machen die Osmanischen Interessen zu vertreten. "
Ich war erschrocken, schließlich waren sämtliche Minister des Sultans Eunuchen. Wie kann ich mich hier ohne Groll zurückziehen ?
Meine Gedanken muß der alte Kanzler bemerkt haben, den er lachte laut auf und sprach:
Weder werdet ihr beschnitten, noch müßt ihr sonst irgendwelche orientalischen Regeln einhalten. Ihr werdet ein deutscher Berater im Sultanspalast mit großen Vollmachten und genießt die Unantastbarkeit eures Glaubens und eurer Kultur. Nun, was meint ihr ?
30 Stunden später befand ich mich auf dem Weg nach Konstantinopel. Am 30.07.1881 kam ich endlich am Hofe an. Am 02.08.1881 begann ich einen neuen Lebensabschnitt, er brachte mir Ruhm und Ehre, aber auch viele Feinde und wenig wirkliche Freunde.
Schon am 1. Tag bemerkte ich die Schwierigkeit meiner neuen Aufgabe. Das große Osmanische Reich lebt nur noch von seinem Namen. Soliman der Prächtige und Mehmed, Namen die ich als Kind einst mit besonderen Klang im Garten des alten Fürsten vernahm, waren immer noch präsent.
Das Volk im Jahre 1881 war ungebildet. Das Heer lebte nur von seinem Patriotismus und seiner Quantität, technologisch, wie auch die anderen Bereiche Marine, Industrie und Wirtschaft, lag das Reich des Sultans zu den vergleichbaren europäischen Dynastien hoffnungslos zurück.
Die einst unter Saladin berühmte arabische Kulturwar nur noch ein Schatten, eine vage Ahnung.
Viele Völker vereinte das Land und Mißtrauen schürte den Haß untereinander, was die so wichtige Stärke nach Außen zu repräsentieren, im Keim erstickte.
Meine ersten Handlungen waren entsprechend diesen traurigen Umständen angepaßt.
In meiner ersten Rede vor einigen von mir ausgewählten Volksvertretern aus allen Regionen des Reiches, versuchte ich den erhöhten Steuersatz aller Klassen auf 50 % zu erläutern und absegnen zu lassen. Keine gute Idee, denn schon lange wird der Familie des Sultans mißtraut und so gab es auch faules Obst und wüste Beschimpfungen in meine Richtung, dem neuen Günstling des Sultans....
Als jedoch kurze Zeit später provisorische Schulen in den Provinzen errichtet wurden und damit mein Versprechen die Steuern sinnvoll einzusetzen, gehalten wurde, begann der Widerstand zu bröckeln. Den Bildungsetat auf maximal anzuheben war intern kein leichtes Unterfangen. Man ging von der irrigen Annahme in der elitären Klasse aus, daß viel Wissen des Volkes auch zu viel Bewußtsein und Militanz führt und damit ihren Anspruch auf Macht vielleicht gefährdet. Ich konnte sie beruhigen, war aber davon überzeugt, daß nur der die Geschicke eines Staates lenken soll, der auch das Wissen dazu hat. Es sollte keiner aufgrund seines Standes im Land benachteiligt werden. Aber diese wahrhaft großen Ziele eines modernen und fortschrittlichen Osmanischen Reiches behielt ich vorerst für mich. Meine Stellung muß zum einen gestärkt werden und zum anderen mußte ich mir ein starken Freundeskreis erst noch aufbauen, um mein ultramodernes Reformwerk durchzusetzen.
Der reichen Klasse wurde daher das Zuckerbrot eines Posten´s beim Militär und Marine angeboten. Jede der acht wichtigsten Familien bekam ein Kommando.
Befehlshaber der Flotte war die Familie um den intelligenten Ingenieur Sedat.
Resit, Arif, Muhittin, Ahmet, Fahrettin, Tugrul und Osman ernannte ich im Namen des Sultans zu Befehlshabern der wichtigsten Armeen des Landes.
Beim ersten einberufenen Militärrat, wurde dann auch heftig gestritten und ich mußte eine empfindliche Niederlage einstecken. So wurde Heeres- und Marineunterhalt nicht angetastet und wie von mir beabsichtigt gesenkt. Der Kompromiss sah vor, ein sofortiges Versammlungsverbot und die damit Einsparung der Kosten in der Verbrechensbekämpfung. Mir war klar, das ich damit weniger das arme Volk zur Revolution animierte, als vielmehr den Reichen einen Freibrief für Korruption und ähnliche Verbrechen gab.
Trotzdem, im Moment waren mir die Senkung dieser Kosten auf ein Minimum sympathischer.
Da meine private Vorliebe für Kultur ebenfalls nicht auf Gegenliebe stieß, wahrte ich die Contenance, als das Militär auch noch technologisch bevorzugt wurde und Militärpläne als Forschungsauftrag verabschiedet wurden.
Ein Vorteil hatten diese ersten Aktionen, meine Politik konnte nicht so recht durchschaut werden.
Aus den Verhandlungen mit diesen Familien wurde mir bewußt, daß ich alleine keine Möglichkeit habe auch nur annähernd meine Ziele zu erreichen. So sprach ich beim Sultan vor, der aber keine direkte Unterstützung mir zusicherte. Er war dennoch kein Mann, der sich der Realität verschloß. Vor allem sein Sohn, der Thronfolger, machte ihn große Sorgen´, da jener gänzlich untauglich war.
Lieber deutscher Freund, ich habe euch nicht geholt, um euch zu einem Muslim zu erziehen. Es geht mir um die Neuorganisation des Osmanischen Reiches. Ich bin zu alt und habe nicht mehr die Kraft gegen bestehende traditionelle Beschränkungen und mächtige Familien zu kämpfen. Was im Rahmen meiner Macht möglich ist, werde ich tun und ihr könnt auf mich zählen, aber ihr solltet bedenken das nicht eine oder meine Familie wichtig ist, ihr dient dem Osmanischen Reich !!
Noch lange dachte ich über diese Audienz in den Gärten des Sultans nach. Gab er mir einen Freibrief auch politische Reformen bei Bedarf durchzusetzen ? Waren die traurigen Augen als wir vom Thronfolger sprachen, die Augen des Bewußtseins, daß das Reich mit diesem Sohn dem Untergang geweiht sei ?? Aber es gab doch Töchter des Sultans ?
Eine Frau auf dem Thron des Osmanischen Reiches, das erweckte sogar bei mir ein herzhaftes Lachen so daß sich einige verstört nach mir umsahen.
Am Baum der Weisheit wurde mir dann auch ein Wink in Form eines Gedanken eingegeben. Ich hörte von Gruppen im Reich, die sich zu Parteien ähnlich der Parteienlandschaft in christlichen Dynastien, bildeten. Vielleicht könnten diese mir in Zukunft treue Gefährten und Helfer sein. Ich muß mir einen Überblick über ihre Ziele verschaffen und diese mit den meinen vergleichen.
Am Abend kam ich zu den Schluß die Verantwortlichen der Partei der People´s Union und der Imperial Party zu Gesprächen einzuladen.
Aber bevor es Abend wird hat man den späten Nachmittag zu überstehen und hier gab es für mich endlich ein wenig Spaß an der Arbeit - die zukünftige Außenpolitik mußte in groben Zügen vorgestellt werden.
Die guten Beziehungen zu Deutschland werden nicht verwundern, allerdings war ich mir ( und sicher auch Bismarck ) bewußt, das es keine unbedingte Bindung der beiden Staaten aneinander geben muß. Im Moment waren die guten Beziehungen hilfreich, zumal Deutschland diplomatisch vermitteln kann wenn es zu Problemen mit dessen Verbündeten Österreich und Rußland kommen sollte. Bismarck war wie ich der Überzeugung ein unentschiedener Krieg zwischen Österreich und Rußland wäre sehr hilfreich für unsere Länder.
Außerdem hat der Sultan gute Beziehungen zu einigen anliegenden arabischen Fürsten, wie den Oman, Nedj und Abu Dhabi.
Gar nicht so beliebt ist der Krummsäbel in den kleinen Balkanstaaten Rumänien, Serbien, Griechenland und Bulgarien. Mein Ziel ist es, hier nichts zu unternehmen und die Berliner Beschlüsse von 1878 erst einmal zu akzeptieren. Vielleicht sollte man diplomatisch aktiv auf den Balkan werden, in dem man entweder mit Österreich oder mit Rußland die Aussöhnung vorantreibt, um den jeweils anderen an die Kette zu legen und den wichtigen Frieden zu sichern.
Hauptproblem in der Außenpolitik ist aber Ägypten. Dieses Reich, was wie ein Pfahl im Fleische das Osmanische Reich wirkt, ist nicht nur ein Störfaktor sondern auch Spielball von England und Frankreich. Ohne den Zorn dieser beiden Großmächte heraufzubeschwören, kann aber die Pforte kein europäisches Land in Alexandria dulden. Wenn wir schon nicht selbst das Reich besitzen dürfen, so sollte es unabhängig und schwach bleiben. England und Frankreich in dieser Frage gegeneinander auszuspielen sollte mit Hilfe Deutschlands gelingen. Auch Italien kann mit südfranzösischen Gebieten beruhigt werden, bevor die Gerüchte akkut werden, daß sie unsere libyschen Provinzen beanspruchen.
Persien ist keine größere Gefahr, die Beziehungen sollten normal bleiben, später kann man über bestimmte Dinge nachdenken. Das Osmanische Reich soll ohne Tod eines osmanischen Soldaten seine territoriale Größe behalten und eventuell in Afrika neues Land friedlich erobern bevor es andere Kolonialmächte aufteilen - und damit das Kernland um Konstantinopel und Jerusalem umzingeln und unmittelbar bedrohen.
Müde von seinen Ausführungen schaut er den Kindern ins Gesicht. Sie sitzen begierig lauschend um ihn herum.
So - genug für heute, eure Eltern werden sicher schon auf euch warten und morgen müßt ihr wieder in die Schule, also auf auf und ab durch die Mitte sonst gibt es Tritte....
"Ooohhr" und "schaaaade" sind die Entgegnungen der Kleinen, die aber folgsam den letzten Schluck austrinken und langsam den Weg zum Tor gehen. Gespannt auf den nächsten Sonntag flüstern sie leise und diskutieren was sie heute gehört haben.
Ein besonders frech aussehender Junge bemerkte etwas kleinlaut
Habt ihr gesehen, seine Augen sind sehr müde auch mußte er öfter mit dem Sprechen aussetzen um Luft zu holen. Man merkt das es ihm schwerfiel und das er nicht ganze gesund ist.
Ein kleines Mädchen erwiderte : Jaa, er ist alt geworden und wir können nur hoffen das er seine Geschichte zu Ende bringen wird. Aber wer weiß das schon, schließlich sagte mir meine Oma, daß er in ihrem Alter sei und meine Oma ist schon über 80 Jahre!"
Ein drittes Kind mischt sich ein : ich glaube er hat einmal dem Postboten gesagt das er am 01.01. 1836 geboren wurde, das würde passen, denn in seinen früheren Erzählungen sprach er davon, daß er beim Berliner Kongreß 1878 bereits 42 Jahre war.
Da weinte auf einmal das kleinste Mädchen los, soweit kann ich gar nicht rechnen, wir schreiben heute das Jahr 1921, wie alt ist er denn dann ?
Ach egal, ich freue mich jedenfalls auf nächsten Sonntag, erwiderte der älteste Junge.
Wenn es einen nächsten Sonntag für den 85 jährigen noch gibt meinte darauf das neben ihm laufende Mädchen.
Der Alte schaute "seinen" Kindern hinterher und bekam dabei feuchte Augen. Mein Gott ist das alles schon so lange her ?? sinierte er vor sich hin und dachte an die Worte seines Fürsten von damals.
Der Kopf und das Herz sind immer noch ein junger Bursche, aber der Körper will nicht mehr. Nun machte er die gleiche Erfahrung. Aber er war auch dankbar für sein gelebtes Leben und schlief friedlich mit einem Lächeln ein. Bald begann er zu schnarchen, daß die Vögel aufgescheucht davonflogen.....
Um den Hausherr vor der brennenden Sonne zu schützen, wird ein Sonnenschirm aufgestellt. Nachdem auf dem Tisch ein Kännchen Tee platziert, ein Teller mit Gebäck aufgestellt und eine orientalische Wasserpfeife neben dem Stuhl getragen wurde, öffnete man das Tor und viele kleine Kinder strömen in den Garten.
Sie dürfen alles und so sieht der Gärtner stirnrunzelnd zu, wie sie seine Arbeit durch Unaufmerksamkeit in Mitleidenschaft ziehen. Abgebrochene Blumen, Zertrampelte Beete, aufgescheuchte Vögel - aber das hat auch etwas Unbeschwertes. Er beginnt von seiner Jugend zu träumen und lächelt. Mutter ... Vater ....
Ein Schrei holt ihn in die Wirklichkeit zurück. Der alte Mann will vieles mehr, so beschwert er sich, das kein Kakao auf den Tisch bereitgestellt wurde.
Schnell, aber ohne Angst kommt eine junge Frau, die in ihrer Anmut an das berühmte Schokoladenmädchen erinnert und bringt das gewünschte Getränk, gießt es den Kindern in die Tasse, die keinen Tee möchten, und ordnet die Decke auf dem Schoß des Rollstuhlpatienten und verschwindet wieder unbemerkt.
Zufrieden lehnt sich der Alte zurück und beobachtet die schmatzenden und etwas aufgeregten Kindern, die voller Neugier immer häufiger in seine Richtung schauen und darauf warteten, das er nun endlich mit seiner Märchenstunde beginnen möge. Amüsiert will er dann auch ansetzen, aber bevor es richtig losgeht vertreibt er noch ein paar Bienen vom, inzwischen ebenfalls den Kindern gereichten, Kuchen.
Liebe Kinder, ich freue mich, daß ihr meiner Einladung gefolgt seit, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob es nicht der Kuchen und Kakao ist, der euch die Erzählungen eines alten Mannes besser ertragen läßt. So will ich denn auch endlich beginnen.
Vor langer Zeit, ich war noch ein junger Mann - hmmh ... es muß schon sehr lange her sein, also vor langer Zeit, da war ich ein recht berühmter Mann in Europa.
Bevor ich jedoch so berühmt wurde, war ich wie ihr ein Kind, das jeden Sonntag von einem alten Fürsten eingeladen wurde. Er erzählte Geschichten von Karl V., dem alten Fritz und Napoleon und erschwärmte von seinem Vermächtnis: Europa Universalis.
Der alte Mann schaute in das weite Land und versank für kurze Zeit in Nachdenken. Die Kinder wußten, daß er jetzt nicht gestört werden darf. Schließlich wurde jedoch das Vogelgezwitscher in den Bäumen so laut, daß der alte Mann weitersprach.
Ich habe mich entschlossen, dies Weiterzuführen, weil ich damals begeistert war und immer auch etwas für mich lernen konnte. Allerdings spreche ich nicht von jenen Europa Universalis sondern von Victoria.
Europa befand sich im Jahre 1881 in einer damals typischen normalen Schwierigkeit. Die Staaten waren noch nicht so aggressiv wie sie es heute sind. Die Diplomaten bewegten sich alle auf normalen,durchschnittlichen Niveau.
Eines Tages, ich war ein kleiner Sekretär im Außenministerium, der 1878 den Berlinder Kongreß vorbereitet hatte und mit seinen Eigeninitiativen zu ein paar wohlwollende Gespräche mit Otto von Bismarck eingeladen wurde, erhielt ich erneut Post von jenen großen Mann.
Order 1.03 c besagte unverzügliches Erscheinen vor dem inzwischen umstrittenen Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Ohne viel Federlesen kam er dann auch gleich zum Punkt, noch ehe ich ihn korrekt begrüßen konnte, aber er war eben immer in Zeitdruck.
Lieber Freund, ihr habt vor drei Jahren die Interessen der Osmanen in Berlin sehr gut diplomatisch vertreten, begann der eiserne Kanzler, und so ist es kein Wunder, daß ihr nicht nur uns, sondern auch fremden Mächten aufgefallen seit. Der Sultan erinnert sich an euch, und da sein erster Minister kürzlich verstarb, bat er mich, euch das Angebot zu machen die Osmanischen Interessen zu vertreten. "
Ich war erschrocken, schließlich waren sämtliche Minister des Sultans Eunuchen. Wie kann ich mich hier ohne Groll zurückziehen ?
Meine Gedanken muß der alte Kanzler bemerkt haben, den er lachte laut auf und sprach:
Weder werdet ihr beschnitten, noch müßt ihr sonst irgendwelche orientalischen Regeln einhalten. Ihr werdet ein deutscher Berater im Sultanspalast mit großen Vollmachten und genießt die Unantastbarkeit eures Glaubens und eurer Kultur. Nun, was meint ihr ?
30 Stunden später befand ich mich auf dem Weg nach Konstantinopel. Am 30.07.1881 kam ich endlich am Hofe an. Am 02.08.1881 begann ich einen neuen Lebensabschnitt, er brachte mir Ruhm und Ehre, aber auch viele Feinde und wenig wirkliche Freunde.
Schon am 1. Tag bemerkte ich die Schwierigkeit meiner neuen Aufgabe. Das große Osmanische Reich lebt nur noch von seinem Namen. Soliman der Prächtige und Mehmed, Namen die ich als Kind einst mit besonderen Klang im Garten des alten Fürsten vernahm, waren immer noch präsent.
Das Volk im Jahre 1881 war ungebildet. Das Heer lebte nur von seinem Patriotismus und seiner Quantität, technologisch, wie auch die anderen Bereiche Marine, Industrie und Wirtschaft, lag das Reich des Sultans zu den vergleichbaren europäischen Dynastien hoffnungslos zurück.
Die einst unter Saladin berühmte arabische Kulturwar nur noch ein Schatten, eine vage Ahnung.
Viele Völker vereinte das Land und Mißtrauen schürte den Haß untereinander, was die so wichtige Stärke nach Außen zu repräsentieren, im Keim erstickte.
Meine ersten Handlungen waren entsprechend diesen traurigen Umständen angepaßt.
In meiner ersten Rede vor einigen von mir ausgewählten Volksvertretern aus allen Regionen des Reiches, versuchte ich den erhöhten Steuersatz aller Klassen auf 50 % zu erläutern und absegnen zu lassen. Keine gute Idee, denn schon lange wird der Familie des Sultans mißtraut und so gab es auch faules Obst und wüste Beschimpfungen in meine Richtung, dem neuen Günstling des Sultans....
Als jedoch kurze Zeit später provisorische Schulen in den Provinzen errichtet wurden und damit mein Versprechen die Steuern sinnvoll einzusetzen, gehalten wurde, begann der Widerstand zu bröckeln. Den Bildungsetat auf maximal anzuheben war intern kein leichtes Unterfangen. Man ging von der irrigen Annahme in der elitären Klasse aus, daß viel Wissen des Volkes auch zu viel Bewußtsein und Militanz führt und damit ihren Anspruch auf Macht vielleicht gefährdet. Ich konnte sie beruhigen, war aber davon überzeugt, daß nur der die Geschicke eines Staates lenken soll, der auch das Wissen dazu hat. Es sollte keiner aufgrund seines Standes im Land benachteiligt werden. Aber diese wahrhaft großen Ziele eines modernen und fortschrittlichen Osmanischen Reiches behielt ich vorerst für mich. Meine Stellung muß zum einen gestärkt werden und zum anderen mußte ich mir ein starken Freundeskreis erst noch aufbauen, um mein ultramodernes Reformwerk durchzusetzen.
Der reichen Klasse wurde daher das Zuckerbrot eines Posten´s beim Militär und Marine angeboten. Jede der acht wichtigsten Familien bekam ein Kommando.
Befehlshaber der Flotte war die Familie um den intelligenten Ingenieur Sedat.
Resit, Arif, Muhittin, Ahmet, Fahrettin, Tugrul und Osman ernannte ich im Namen des Sultans zu Befehlshabern der wichtigsten Armeen des Landes.
Beim ersten einberufenen Militärrat, wurde dann auch heftig gestritten und ich mußte eine empfindliche Niederlage einstecken. So wurde Heeres- und Marineunterhalt nicht angetastet und wie von mir beabsichtigt gesenkt. Der Kompromiss sah vor, ein sofortiges Versammlungsverbot und die damit Einsparung der Kosten in der Verbrechensbekämpfung. Mir war klar, das ich damit weniger das arme Volk zur Revolution animierte, als vielmehr den Reichen einen Freibrief für Korruption und ähnliche Verbrechen gab.
Trotzdem, im Moment waren mir die Senkung dieser Kosten auf ein Minimum sympathischer.
Da meine private Vorliebe für Kultur ebenfalls nicht auf Gegenliebe stieß, wahrte ich die Contenance, als das Militär auch noch technologisch bevorzugt wurde und Militärpläne als Forschungsauftrag verabschiedet wurden.
Ein Vorteil hatten diese ersten Aktionen, meine Politik konnte nicht so recht durchschaut werden.
Aus den Verhandlungen mit diesen Familien wurde mir bewußt, daß ich alleine keine Möglichkeit habe auch nur annähernd meine Ziele zu erreichen. So sprach ich beim Sultan vor, der aber keine direkte Unterstützung mir zusicherte. Er war dennoch kein Mann, der sich der Realität verschloß. Vor allem sein Sohn, der Thronfolger, machte ihn große Sorgen´, da jener gänzlich untauglich war.
Lieber deutscher Freund, ich habe euch nicht geholt, um euch zu einem Muslim zu erziehen. Es geht mir um die Neuorganisation des Osmanischen Reiches. Ich bin zu alt und habe nicht mehr die Kraft gegen bestehende traditionelle Beschränkungen und mächtige Familien zu kämpfen. Was im Rahmen meiner Macht möglich ist, werde ich tun und ihr könnt auf mich zählen, aber ihr solltet bedenken das nicht eine oder meine Familie wichtig ist, ihr dient dem Osmanischen Reich !!
Noch lange dachte ich über diese Audienz in den Gärten des Sultans nach. Gab er mir einen Freibrief auch politische Reformen bei Bedarf durchzusetzen ? Waren die traurigen Augen als wir vom Thronfolger sprachen, die Augen des Bewußtseins, daß das Reich mit diesem Sohn dem Untergang geweiht sei ?? Aber es gab doch Töchter des Sultans ?
Eine Frau auf dem Thron des Osmanischen Reiches, das erweckte sogar bei mir ein herzhaftes Lachen so daß sich einige verstört nach mir umsahen.
Am Baum der Weisheit wurde mir dann auch ein Wink in Form eines Gedanken eingegeben. Ich hörte von Gruppen im Reich, die sich zu Parteien ähnlich der Parteienlandschaft in christlichen Dynastien, bildeten. Vielleicht könnten diese mir in Zukunft treue Gefährten und Helfer sein. Ich muß mir einen Überblick über ihre Ziele verschaffen und diese mit den meinen vergleichen.
Am Abend kam ich zu den Schluß die Verantwortlichen der Partei der People´s Union und der Imperial Party zu Gesprächen einzuladen.
Aber bevor es Abend wird hat man den späten Nachmittag zu überstehen und hier gab es für mich endlich ein wenig Spaß an der Arbeit - die zukünftige Außenpolitik mußte in groben Zügen vorgestellt werden.
Die guten Beziehungen zu Deutschland werden nicht verwundern, allerdings war ich mir ( und sicher auch Bismarck ) bewußt, das es keine unbedingte Bindung der beiden Staaten aneinander geben muß. Im Moment waren die guten Beziehungen hilfreich, zumal Deutschland diplomatisch vermitteln kann wenn es zu Problemen mit dessen Verbündeten Österreich und Rußland kommen sollte. Bismarck war wie ich der Überzeugung ein unentschiedener Krieg zwischen Österreich und Rußland wäre sehr hilfreich für unsere Länder.
Außerdem hat der Sultan gute Beziehungen zu einigen anliegenden arabischen Fürsten, wie den Oman, Nedj und Abu Dhabi.
Gar nicht so beliebt ist der Krummsäbel in den kleinen Balkanstaaten Rumänien, Serbien, Griechenland und Bulgarien. Mein Ziel ist es, hier nichts zu unternehmen und die Berliner Beschlüsse von 1878 erst einmal zu akzeptieren. Vielleicht sollte man diplomatisch aktiv auf den Balkan werden, in dem man entweder mit Österreich oder mit Rußland die Aussöhnung vorantreibt, um den jeweils anderen an die Kette zu legen und den wichtigen Frieden zu sichern.
Hauptproblem in der Außenpolitik ist aber Ägypten. Dieses Reich, was wie ein Pfahl im Fleische das Osmanische Reich wirkt, ist nicht nur ein Störfaktor sondern auch Spielball von England und Frankreich. Ohne den Zorn dieser beiden Großmächte heraufzubeschwören, kann aber die Pforte kein europäisches Land in Alexandria dulden. Wenn wir schon nicht selbst das Reich besitzen dürfen, so sollte es unabhängig und schwach bleiben. England und Frankreich in dieser Frage gegeneinander auszuspielen sollte mit Hilfe Deutschlands gelingen. Auch Italien kann mit südfranzösischen Gebieten beruhigt werden, bevor die Gerüchte akkut werden, daß sie unsere libyschen Provinzen beanspruchen.
Persien ist keine größere Gefahr, die Beziehungen sollten normal bleiben, später kann man über bestimmte Dinge nachdenken. Das Osmanische Reich soll ohne Tod eines osmanischen Soldaten seine territoriale Größe behalten und eventuell in Afrika neues Land friedlich erobern bevor es andere Kolonialmächte aufteilen - und damit das Kernland um Konstantinopel und Jerusalem umzingeln und unmittelbar bedrohen.
Müde von seinen Ausführungen schaut er den Kindern ins Gesicht. Sie sitzen begierig lauschend um ihn herum.
So - genug für heute, eure Eltern werden sicher schon auf euch warten und morgen müßt ihr wieder in die Schule, also auf auf und ab durch die Mitte sonst gibt es Tritte....
"Ooohhr" und "schaaaade" sind die Entgegnungen der Kleinen, die aber folgsam den letzten Schluck austrinken und langsam den Weg zum Tor gehen. Gespannt auf den nächsten Sonntag flüstern sie leise und diskutieren was sie heute gehört haben.
Ein besonders frech aussehender Junge bemerkte etwas kleinlaut
Habt ihr gesehen, seine Augen sind sehr müde auch mußte er öfter mit dem Sprechen aussetzen um Luft zu holen. Man merkt das es ihm schwerfiel und das er nicht ganze gesund ist.
Ein kleines Mädchen erwiderte : Jaa, er ist alt geworden und wir können nur hoffen das er seine Geschichte zu Ende bringen wird. Aber wer weiß das schon, schließlich sagte mir meine Oma, daß er in ihrem Alter sei und meine Oma ist schon über 80 Jahre!"
Ein drittes Kind mischt sich ein : ich glaube er hat einmal dem Postboten gesagt das er am 01.01. 1836 geboren wurde, das würde passen, denn in seinen früheren Erzählungen sprach er davon, daß er beim Berliner Kongreß 1878 bereits 42 Jahre war.
Da weinte auf einmal das kleinste Mädchen los, soweit kann ich gar nicht rechnen, wir schreiben heute das Jahr 1921, wie alt ist er denn dann ?
Ach egal, ich freue mich jedenfalls auf nächsten Sonntag, erwiderte der älteste Junge.
Wenn es einen nächsten Sonntag für den 85 jährigen noch gibt meinte darauf das neben ihm laufende Mädchen.
Der Alte schaute "seinen" Kindern hinterher und bekam dabei feuchte Augen. Mein Gott ist das alles schon so lange her ?? sinierte er vor sich hin und dachte an die Worte seines Fürsten von damals.
Der Kopf und das Herz sind immer noch ein junger Bursche, aber der Körper will nicht mehr. Nun machte er die gleiche Erfahrung. Aber er war auch dankbar für sein gelebtes Leben und schlief friedlich mit einem Lächeln ein. Bald begann er zu schnarchen, daß die Vögel aufgescheucht davonflogen.....