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von Holstein
20.07.04, 12:29
Verehrte Herren,

Zur Ehrung des Tages eine Frage auf die ich keine Antwort weiß.

Was wäre aus Deutschland geworden, hätte das Attentat vom 20. Juli 1944 Erfolg gezeigt ?

A. Hätten die Verschwörer sich überhaupt gegen die SS und hitlertreuen Kräfte durchsetzen können ?

Wenn, ja....

B. Wie ich gelesen habe hatten die Westalliierten kein Interesse an Friedensverhandlungen mit dem Reich, sie lehnten Gespräche konsequent ab. Ist das korrekt ?
Wäre eine bedingungslose Kapitulation im Westen und ein Weiterführen des Krieges im Osten möglich gewesen ?
Hätte das Reich diesen Krieg gegen die Sowjetunion noch gewinnen, oder zumindest die Front halten können?

C. Was wäre innenpolitisch wohl geschehen, wohin hätte sich das Reich unter einem Präsidenten Gördeler entwickelt?
Wie hätten in freien Wahlen dann wohl die SPD oder die Nationalen Kräfte abgeschnitten?
Hätte sich eine CDU gebildet ?

Oder hätte ein erfolgreiches Attentat letztlich nichts am Schicksal Deutschlands geändert und alles wäre mehr oder weniger so geschehen wie in der Realität ?

Wie ist die Meinung der Kenner dieser Geschichtsepoche ?

Strähle
20.07.04, 12:53
zuerst möchte ich einmal einwerfen, dass es müßig ist über solche "Was wäre wenn-Themen" zu diskutieren. Man kommt auf keinen grünen Zweig.


A. Hätten die Verschwörer sich überhaupt gegen die SS und hitlertreuen Kräfte durchsetzen können ?

Nun, in Paris hatte der Staatsstreich bekanntlich geklappt. In Berlin andererseits, vertraute man auf Leute, wie bspw. einen Major Rehmer (wohlgemerkt einen regimetreuen soldaten) der das Regierungsviertel abriegeln und u.a. goebbels verhaften sollte.


B. Wie ich gelesen habe hatten die Westalliierten kein Interesse an Friedensverhandlungen mit dem Reich, sie lehnten Gespräche konsequent ab. Ist das korrekt ?
Wäre eine bedingungslose Kapitulation im Westen und ein Weiterführen des Krieges im Osten möglich gewesen ?
Hätte das Reich diesen Krieg gegen die Sowjetunion noch gewinnen, oder zumindest die Front halten können?

Ich glaube Churchill hat einmal gesagt: "Warum sollte ich mit Personen reden/ zusammenarbeiten, die versuchen ihren eigenen Staatschef umzubringen?"

Ich glaube nicht, dass ein Seperatfrieden im Westen möglich gewesen wäre. Es gab zwar Pläne, nach dem erfolgreichen Attentat die Front zu öffnen und die Amis durchzulassen, doch wurden diese durch den Ausfall Rommels zunichte gemacht.

Die Koalition der Allierten war sich einig Deutschland zu besiegen und niederzuwerfen, da hätte ein Umsturz sicherlich nichts dran geändert.


C. Was wäre innenpolitisch wohl geschehen, wohin hätte sich das Reich unter einem Präsidenten Gördeler entwickelt?
Wie hätten in freien Wahlen dann wohl die SPD oder die Nationalen Kräfte abgeschnitten?
Hätte sich eine CDU gebildet ?

Hätte der Umsturz geklappt, hätte man ersteinmal den Generaloberst Beck als Staatschef gehabt. Selbst die Widerständler waren sich nicht einig, was denn nun geschehen soll. Demokratie? Monarchie?

Schlußendlich wäre uns vieles erspart geblieben. Man muss sich nur mal die Verlustzahlen vom 21.07.44 bis 08.05.45 ansehen. Das spricht bände.

Elvis
20.07.04, 13:04
Es laufen ja etliche Dokus über den 20. Juli momentan.
Gestern habe ich eine gesehen, da hat ein Zeitzeuge gesagt, das wenn das Attentat geglückt wäre, die Geschichte vielleicht andere Schlussfolgerungen aus dem 2.Weltkrieg gezogen hätte. Das das Ausmaß der Zerstörungen vielleicht nötig war, um einen 3.Weltkrieg zu verhindern.
Er meinte, das wenn das Attentat geglückt wäre, vielleicht viele noch heute glauben würden, das der Hitler das geschafft hätte.

Gettysburg
20.07.04, 14:09
"Was wäre wenn..." ist immer ein Ansatz für eine sehr müßige Diskussion, aber ich will mich mal nicht scheuen daran teilzunehmen.

Es ist nicht leicht so etwas zu sagen, wenn man damit zugleich in Kauf nimmt, den Tod von Millionen von Menschen auf den Schlachtfeldern, in den zerbombten Städten, in den Konzentrationslagern, auf der See, etc. im Nachhinein zu billigen, aber das Beste was uns - aus unserer heutigen Sicht wohlgemerkt - passieren konnte war, dass das Attentat gescheitert ist. Das mag paradox klingen und Menschen, die im letzten Kriegsjahr noch ihre Liebsten verloren, ihr Hab und Gut aufgeben mussten, oder andere schlimme Verluste zu ertragen hatten, könnten dem auch niemals zustimmen. Genauso wenig wie die, die dadurch niemals die Möglichkeit erhalten habe, ihre Großeltern, Eltern und andere Verwandte jemals richtig kennenzulernen. Aber was wären die Konsequenzen des Attentats - und jetzt gar nicht in Bezug auf die kurzfristigen, unmittelbaren Folgen, d.h. Neugliederung des Staatswesens, etc. - gewesen?

Wie hätte das deutsche Volk denn, nachdem sich der Schleier um die wahren Ereignisse des 20. Juli 1944 in den darauffolgenden Jahren gelüftet hätte, reagiert? Hätte es die Widerstandskämpfer denn wirklich als Helden angesehen? Hätte es den Kampf, den sie geführt haben, wirklich als ehrenhaft und notwendig verstanden? War denn der Mehrheit des deutschen Volkes wirklich klar, dass der Krieg zu diesem Zeitpunkt schon längst verloren war?

Es gibt eine Parallele in der deutschen Geschichte zu einem Umsturz der staatlichen Organisationsform während eines Krieges und zwar die Auflösung der Monarchie zum Ende des ersten Weltkrieges. Zu diesem Zeitpunkt stand das "unbesiegte" deutsche Heer noch tief in Feindesland im Westen und hatte im Osten sogar den Schlachtenverlauf für sich entschieden. Der Friedensschluß mit den Westmächten hatte sich im Laufe der folgenden Jahre, natürlich auch bedingt durch die repressiven Folgen des Versailler Vertrages, in der Meinung des Volkes zu einem Verrat am eigenen Heer und am Kaiser entwickelt. Die Tatsache, dass die durch den Kriegseintritt der USA eingetretene, nicht mehr zu neutralisierende materielle Überlegenheit der Westmächte und die letzte fehlgeschlagene Offensive des kaiserlichen Heeres, mit der sämtliche Reserven aufgebraucht worden waren ein Weiterkämpfen nur noch sinnloses Opfertum nach sich gezogen hätte, hat sich im Bewusstsein der Menschen nicht erschlossen.

Und nun möchte man uns heute erzählen, mit dem Tod Hitlers und einem erfolgreichen Putsch wäre den Deutschen im Laufe der nächsten Jahre angesichts der Verbrechen klar geworden, dass das Attentat notwendig und ehrenhaft war? Ich darf den geheimen Lagebericht des SD der SS zitieren, der beschreibt, welche Gefühle das Attentat bei der deutschen Bevölkerung hervorgerufen hat:

"[...]Nachdem sich der erste Schreck über das Attentat selbst gelegt hat, beschäftigen sich die Volksgenossen in ihren Gesprächen mehr mit den Hintergründen und den evtl. Folgen des Ereignisses.[...]Die Bevölkerung atmet erleichtert auf, das der Führer dem Anschlag nicht zum Opfer fiel. Fast durchweg ist die Bindung an den Führer vertieft und das Vetrauen zur Führung gestärkt worden, die sich als Herr der Lage gezeigt hat[...]. Die Bekanntgabe der Namen von 23 an dem Vebrechen beteiligten Stabsoffizieren und Generälen wird von der breiten Masse des Volkes zum Anlass schon vereinzelt ausgesprochener Vermutungen angenommen, dass Verrat und Sabotage im Heer und in der gesamten Wirtschaft und Verwaltung anscheinend weit größeres Ausmaß angenommen hatten, als man dem Volke Glauben machen wollte.[...] Der überwiegende Teil der Bevölkerung gewinnt immer mehr die Überzeugung, dass die Offiziers- und Verräterclique schon seit längerer Zeit systematisch auf allen Gebieten der Verteidigung Sabotage getrieben habe, so dass die Ostfront weder mit dem nötigen Nachschub, noch mit den notwendigen Waffen und Munition versehen wurde."

Man sieht also, dass die drohende militärische Niederlage nicht etwa der materiellen Überlegenheit, der Zweifrontenbelastung und natürlich schon gar nicht dem Einmischen von Adolf Hitler in die Operationspläne, wovon ja ohnehin zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, zugeschrieben wurde, sondern wie im großen Kriege zuvor die einfachste Erklärung gesucht wurde: Verrat. Adolf Hitlers Beliebtheit war im Jahre 1944 noch ungebrochen und der Glaube an den Führer bestand aufgrund der in ihrem Sinne ausgezeichneten Nazi-Propaganda ungebrochen.
Mit anderen Worten: Im Entstehen war nichts anderes als eine zweite große "Dolchstoß-Legende", von der wir heute zum Glück verschont geblieben sind, weil:
1. ...das Regime sich im darauffolgenden letzten Kriegsjahr mit seinen brutalen Hinrichtungen gegen die Anteile der eigenen Bevölkerung selbst bei geringsten Verstößen selbst "entzaubert" hat.
2. ...das Regime das Unglück, dass es selbst angerichtet und hervorgerufen hat bis zum Schluss selbst ausbaden musste und somit auch die Kriegsniederlage ihm selbst zugesprochen werden konnte, ohne dass die Schuld auf die darauffolgende Regierung abgeschoben werden konnte.
3. ...mit dem Zusammenbruch des deutschen Reiches endlich ein totaler Neuanfang gestartet werden konnte, der im Wiederaufbau, der Wiedereingliederung Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft, dem Wirtschaftswunder und dem heutigen internationalen Ruf Deutschlands, der nie besser gewesen sein dürfte, enden konnte.

Nichtsdestotrotz war das Handeln der Offiziere mehr als bewundernswert und mögen sie auch aus unterschiedlichen Beweggründen, die teils moralisch aus heutiger Sicht keinen großen Stellenwert mehr einnehmen können, gehandelt haben, so ist es doch ein Stück deutscher Selbstfindung, dass es in dieser Zeit einen kleinen organisierten Widerstand gegeben hat, der zum äußersten entschlossen war und bereit gewesen ist, alles dafür zu geben. Die Opfer, die die Attentäter und nicht zuletzt auch ihre Familien, welche zum Teil bis zum Ende des Krieges in Konzentrationslagern einsetzen mussten, dabei bringen mussten verdienen es allein, sie in der heutigen Art und Weise zu ehren. Sie taten das, was sie als nötig erachteten, um weiteren Schaden von ihrem Land abzuwenden. Und das auch der Erfolg, den Krieg zu beenden um den Tod von Millionen noch zu verhindern, ein lohnenswertes Ziel war, ist nicht abzustreiten. Aber die Geschichte urteilt nunmal nicht immer zugunsten des Wohls des Individuums, also der Konsequenzen aus der Folge eines gelungenen Attentats, sondern muss auch den Gesamtkontext betrachten und die Zukunft ganz Europas an dieser Stelle berücksichtigen.

Deshalb sollten wir letztlich, so zynisch das auch unter Berücksichtigung der ganz oben angeführten Stichpunkte klingen mag, "froh" sein, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. Der totale Zusammenbruch war nötig für den totalen Wiederaufbau. Und ein erfolgreiches Attentat auf Hitler hätte diesen auch moralisch-geistigen Zusammenbruch verhindert.

Imperativ
20.07.04, 14:16
Was wäre wenn...

Ich denke sehr viel hätte sich rein "rechnerisch" auch nicht durch den Tod Hitlers verändert, dazu war die ganze "Sache" schon zu weit fortgeschritten. Aber nehmen wir es halt mal an und analysieren wir auch gleich mal, wieso das Ganze einfach zum Scheitern verurteilt war.

Stauffenberg war ja bekanntlich die "treibende Kraft" hinter dem Ganzen - das alleine ist schon ein Witz, wenn zig hochrangige Generale es einfach nicht auf die Reihe kriegen ihren Arsch hochzukriegen. Diese "Unentbehrlichkeit" Stauffenbergs führte letztendlich auch dazu, dass dieses Attentat auf Hitler eigentlich - auch wenn man gerne den Zufall, das Glück des Irren usw. anführt - nie wirklich erfolgreich hätte sein können.

"Einen Dolch reinzustoßen ist sicherlich effektiver als ihn über 40 Meter zu werfen, es sei denn man wäre ein präziser Messerwerfer."

Sprich, der Attentäter - in dem Fall Stauffenberg - hätte niemals ohne eigenen Einsatz dieses Attentat verüben dürfen. Er hätte mit seinem Leben dafür sorgen müssen das dieses Attentat gelingt, also mit "seinem" Führer in die Luft fliegen müssen - denn nur so wäre ein Erfolg wahrscheinlich gewesen. Schließlich hatte man ja bereits zuvor versucht Hitler mit denselben Mitteln (Bombe) samt Flugzeug in die Luft zu jagen und schon damals misslang diese Methode kläglich (ging nicht hoch). Dasselbe Mittel nochmals zu verwenden und trotz dieser Erfahrung blindlings auf den Erfolg zu bauen ist schlichtweg diletantisch. Die übrige Ausführung dieses Putsches war ohenhin an Amateurhafter Idiotie nicht mehr zu überbieten. Da treffen sich diese Herren "Retter" lange und planen und dann kommt sowas Unausgereiftes raus. Unklare Vorstellungen, schlecht ausgearbetiete Pläne und die Ausführung auch aufgrund schlechter Menschenkenntis waren die entscheidenden Faktoren. Ich behaupte selbst wenn Hitler tot gewesen wäre, so wäre dieser Putsch ebenso verlaufen, denn das "Teamwork" des Regimes war einfach zigfach besser als das der Verschwörer.

*Der Radiosender sollte lahmgelegt werden und dabei lässt man sich so leicht täuschen. Der Intendant legt einen Hebel um, vermeldet Vollzug und das glaubt man diesem Parteimitglied auch noch.

Anfängerhaft!!!

*Man begibt sich in die schützenden Hände eines offenkundigen Nazis (Major Rehmer) und glaubt wirklich dieser würde bei den doch aus seiner Sicht fragwürdigen Befehlen nicht "nachhaken"?

Anfängerhaft!!!

*Die Walkürebefehle sind bei ihrer Ausgabe nicht vollständig und schon gar nicht richtig eingestuft. Das der Hauptmann der sie in den Funkraum brachte sie dann auf Nachfrage als streng geheim und Kommandosache einstufte und damit deren Verbreitung quasi von 100% (20 Funker) auf lächerliche 20% (4 Funker für geheime Nachrichten) reduzierte - wozu diese Geheimhaltung? Wollte man den Putsch "geheimhalten"? Schwachsinn...

Anfängerhaft!!!

Dieses "Schulbatallion" (hab vergessen woher) das loyal war traf erst ein als es schon zu spät war, denn da war Major Rehmer bereits am Drücker. Und warum? Der loyale Kommandeur war in Urlaub und sein Stellvertreter nahm an einer Beerdigung teil und erhielt die Anweisungen erst viel zu spät.

Anfängerhaft!!!

Man könnte das noch ewig fortsetzen und würde immer zu dem selben Ergebnis gelangen - Anfängerhaft!!!

Und selbst wenn es gelungen wäre, wieso sollte der designierte Sieger mit dem designierten Verlierer etwas aushandeln, wodurch die Position der Siegermächte geschwächt würde? Bedingunglose Kapitulation war da schon längst beschlossen, aus, nix, basta, Schluß. Vielleicht wäre man moralisch etwas besser weggekommen am Ende, aber mehr auch nicht.

Fazit.

Eine sehr gute Idee, welche in der Ausführung leider von jeder Erdnuss hätte besser über die Bühne gebracht worden wäre. Die Effektivität des Regimes fehlte leider und die unangebrachte "Gute-Menschen-Mentaliät" der Verschwörer war wohl der größte Knackpunkt.

Major Rehmer in den Bendlerblock, Kugel in den Kopf, ein vertrauenswürdiger Mann übernimmt - das Wachbatallion hätte sicher nicht gemurrt. Goebbels aber sowas von gleich Kugel in den Kopf - wobei der sich vermutlich vorher selbst vergiftet hätte - aber die Sau wäre weg gewesen. Überhaupt diese verdeckte Operation im Bendlerblock, wie sagten die "treuen" Offiziere dann so schön - für oder gegen den Führer. Hätte ich gleich gemacht, die Leute versammelt, Karten auf den Tisch, wer dagegen ist => Kugel in den Kopf, fertig.

Fromm diese Sau, nix da Dienstwohnung, ja ihr erratet es sicher gleich - Kugel in den Kopf.

Kurz, scheiß auf diese Distanzierung vom bisherigen Regime, denn das wäre auch so klar geworden. Die Nazis haben Unschuldige ermordet, die Verschwörer hätten lediglich die Nazibonzen gekillt. Einen überlegenen Feind kann man eben nur mit seinen eigenen Mitteln schlagen und wenn dieser keine Skrupel hat, man selbst aber schon, dann kann man sich gleich selbst erschießen.

Imperativ
20.07.04, 14:19
Und was mir am Meisten aufstößt, ist diese dumme Wankelmütigkeit und dieses Argument "Hitler lebt noch, ich mach nicht mit unter diesen Voraussetzungen".

Es war doch da schon völlig wurscht ob Hitler lebte oder tot war. Es war klar das man bald Stauffenberg als Attentäter identifizieren würde und hat ein solches Regime erstmal Einen, dann hat es bald auch alle Anderen. Man sieht ja was es den ganzen "treuen" wie Fromm, oder dem Oberkommandierenden West (Koch???) gebracht hat, ihr Umdenken? Die sind genauso hingerichtet worden wie die standhaften "Verräter".

So blöd, vor allem wenn man das Regime kennt, kann man doch gar nicht sein.

Elvis
20.07.04, 14:32
So blöd, vor allem wenn man das Regime kennt, kann man doch gar nicht sein.

Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn man mit der realen Option des eigenen Todes konfrontiert ist, ob man da die Lage so nüchtern analysiert oder nicht einfach versucht sich zu drücken in der Hoffnung zu überleben.
Ich bewundere die Attentäter, aus dem einfachen Prinzip, das sie die Angst das eigene Leben zu verlieren überwunden haben um zu handeln. Sie hätten es ja auch wie alle anderen einfach aussitzen können. Ihr Leben war ja nicht unmittelbar durch den Krieg bedroht. Zumindest nicht in dem Maße wie es bei einfachen Soldaten war.

Augustus Rex
20.07.04, 14:36
Nun, edler Gettysburg, Ihr mögt in allem recht haben, was Ihr sagt, aber einen Lagebericht des SD heranzuziehen, ist quellenkritisch gesehen doch zumindest fragwürdig, da niemand weiß, wem die Herren Verfasser gerade gefallen mußten.

Ansonsten ist es sicher eine zutiefst moralische Frage, was einem lieber wäre:

- Die "geistige Volksgesundheit" durch die volle, harte Wahrheit bis zum bitteren Ende im Mai 45 - so, wie geschehen

oder

- das Leben von ca. einer Million deutschen Soldaten, die im letzten Kriegsjahr gefallen sind.

Imperativ
20.07.04, 14:40
Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn man mit der realen Option des eigenen Todes konfrontiert ist, ob man da die Lage so nüchtern analysiert oder nicht einfach versucht sich zu drücken in der Hoffnung zu überleben.
Ich bewundere die Attentäter, aus dem einfachen Prinzip, das sie die Angst das eigene Leben zu verlieren überwunden haben um zu handeln. Sie hätten es ja auch wie alle anderen einfach aussitzen können. Ihr Leben war ja nicht unmittelbar durch den Krieg bedroht. Zumindest nicht in dem Maße wie es bei einfachen Soldaten war.

Natürlich wollten die Meisten ihre eigene Haut retten, da spielte dann wohl auch die Einstellung eine Rolle, dass das eigene Handeln GEGEN die Verschwörer dann als positiv gewertet würde. Manch Einer hat ja dann auch noch fleißig seine ehemaligen Freunde verraten, aber gebracht hat es keinem etwas. Kurz, so ein kurzsichtiges Verhalten hätte ich bei einem einfachen Soldaten der Hitler nur durch dessen Propaganda kennt vermutet, aber nicht bei Leuten die sehr genau gewusst haben wie ihr "Führer" war.

Und überhaupt, ich denke die sind nicht wegen des Überlebens Hitlers eingeknickt, sondern wegen ihrer eigenen Courage. Und Attentäter gab es eigentlich gar keinen, denn wie schon gesagt, ein Attentäter führt dieses Attentat auch aus und das hat nicht einmal Stauffenberg getan. Ich denke die Verschwörer waren in der Tat in gewisser Weise Verräter, aber nicht am Führer, sondern an ihrer eigenen Sache.

Gettysburg
20.07.04, 14:48
Werter Augustus Rex,
ich bin mir des Konflikts meiner Meinung durchaus bewusst und hoffe diese Zwiespältigkeit auch in meinem Post zum Ausdruck gebracht zu haben. Wohl erschöpft sich die "geistige Volksgesundheit" nicht in ihr selbst, sondern hat auch durchaus ihre realen, in der Außenwelt feststellbaren Folgen.

Zur Kritik an meiner Quelle:
SD-Berichte wie dieser kamen nicht etwa durch offzielle Befragungen zustande, sondern waren Zusammenfassungen der durch die anonymen Spitzel, die ja im ganzen Reiche damals ihre Arbeit taten, zusammengetragenen Stimmungsaufnahmen.
Nun mag sich bei euch der Gedanke entwickelt haben, dass die Verfasser solcher Berichte stets das Bedürfnis hatten, sich durch positive Darstellung eine bessere Position anzueignen, dem ist jedoch nicht so. Zum einen gibt es eine große Anzahl von SD-Berichten dieser Art, die schonungslos die kritische Haltung der Bevölkerung im darauf folgenden Jahr dokumentieren. Zum anderen wäre es mir neu, dass den Spitzeln die von ihnen gesammelten Stimmungen selbst zum Vorwurf gemacht worden wären. Die Berichte wurden schließlich nicht in erster Linie Hitler selbst, dem eine solche Reaktion zweifelsfrei zuzutrauen gewesen wäre, sondern bei den zuständigen Ministerien eingereicht.

Augustus Rex
20.07.04, 14:51
Wohl erschöpft sich die "geistige Volksgesundheit" nicht in ihr selbst, sondern hat auch durchaus ihre realen, in der Außenwelt feststellbaren Folgen.

Weise gesprochen, edler Herr!

Elias
20.07.04, 15:43
(...)

Ansonsten ist es sicher eine zutiefst moralische Frage, was einem lieber wäre:

- Die "geistige Volksgesundheit" durch die volle, harte Wahrheit bis zum bitteren Ende im Mai 45 - so, wie geschehen

oder

- das Leben von ca. einer Million deutschen Soldaten, die im letzten Kriegsjahr gefallen sind.

Ob und wie der Krieg früher zuende gegangen wäre, hätte der Anschlag erfolg gehabt, vermag natürlich niemand mit letzter Gewissheit zu sagen. Da das 3. Reich jedoch sehr auf die Person Hitler zugeschnitten war, muss man zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, selbst wenn die Attentäter um Staufenberg es nicht geschafft hätten die Regierungsgewalt zu übernehmen.

Fraglos wären mit jedem Tag weniger Krieg unzählige Menschen mit dem Leben davon gekommen. Die Verluste (auf beiden Seiten) waren gerade in den letzten Kriegmonaten ja sehr hoch.
Deshalb besteht für mich gar kein Zweifel daran, dass ein geglückter Anschlag für alle Kriegsbeteiligten wünschenswert gewesen wäre, denn auf jeden Fall hätte es die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reiches gemindert.

Ob man die Nazi-Diktatur dann heute anders sehen würde? Ob man eine zweite Dolchstoßlegende gestrickt hätte?
Vielleicht. Doch auch bis zu einem fiktiven Kriegsende im Herbst 1944 hätte dieses Regime doch genug Abscheulichkeitn angerichtet, dass man sie kaum hätte leugnen können. Vielleicht fiel es einigen Deutschen nach dem Krieg leichter die Verbrechen der Nazis zu erkennen, weil Dresden verbrannte, Pforzheim quasi vom Erdboden verschwunden war und Millionen Ostpreußen und andere Vertriebene schlimme Schicksale erlitten hatten.
Aber das Ausmaß des Verbrechens und die Ungerechtigkeit und Ungerechtfertigkeit dieses Krieges war doch auch 1944 genau so groß wie 1945.

Darüber hinaus halte ich nicht viel von der Idee, dass für ein Ideal oder eine Erkenntnis - in diesem Fall mit dem fragwürdigen Begriff "geistige Volksgesundheit" beschrieben - tausende und abertausende Tote gerechtfertigt werden.

Darum, klarer Fall: Was auch immer letztendlich passiert wäre, ein toter Führer und/oder ein erfolgreicher Staatsstreich wäre in jedem Fall besser gewesen als die Hölle des letzten Kriegsjahres.

Arminus
20.07.04, 15:53
@Holstein: Was für Wahlen? :???:
Dagegen sprechen 2 Dinge:
Die Durchführbarkeit. Wäre es '44 überhaupt noch möglich, Wahlen durchzuführen? Wer hätten denn überhaupt kandidieren können? Die NSDAP hatte doch alles daran gesetzt, jegliche Opposition auszuschalten und damit ja Erfolg gehabt. Wer bitte geht wählen, wenn man ständig der Gefahr unterliegt, dass das Wahllokal ausgebombt wird? Dazu noch ein Großteil aller Wahlberechtigten an der Front oder in Kriegsgefangenschaft... :nein:
Der Wille. Hätten die Putschisten wirklich Wahlen gewollt. Ich kann mir das nicht vorstellen. Schließlich waren es doch alles Militärs. Und die hatten seit dem Ende des 1. Weltkrieg nun wirklich keine guten Erfahrungen mit Demokratie gemacht...

@imperativ: Was Eure Beurteilung des möglichen Erfolgs des Putsches angeht, stimme ich Euch zu. Das die Putschisten am Ende die Regierungsgewalt über das Deutsche Reich innehätten, ist auch für mich unvorstellbar. Trotzdem geht Ihr mir meiner Meinung nach mit den Putschisten zu hart ins Gericht. Natürlich kann man heute mit dem Überblick über die Fakten leicht sagen, dass die Aktion anfängerhaft war. Allerdings ist ein Putsch ähnlich wie ein Krieg ziemlich unberechenbar. Woher sollten diese Menschen denn wissen, wem sie wirklich trauen konnten. Woher sollten die Generäle, beteiligt oder nicht, denn wissen, wie sie handeln sollten. Dem Führer folgen oder nicht, sich gegen ihn stellen oder ihn sogar töten. Es sind immer noch Soldaten, gewohnt zu dienen, waren sie ja auch auf den Reichskanzler vereidigt.
Ich will sie damit nicht verteidigen, sie konnten sich in dieser Situation wahrscheinlich aus der Verantwortung ziehen / ihr Gewissen beruhigen. Viele haben sich also auf die Treue zum Führer berufen und ihre Arbeit getan, also kämpfen bis zur letzten Patrone. Einige haben sich in ihrer "finalen Entscheidungssituation" ganz aus der Affäre gezogen und sich erschossen. Die aber, die es wenigstens versucht haben, sollte man schon würdigen.
Abgesehen davon waren es bestimmt keine Gutmenschen. Ihr könnt bei einem Putsch nicht beliebig Kugeln verteilen, vielen von denen, die nicht für den Putsch, sind auch nicht gegen ihn.

Interessanter ist also die Frage, was wäre passiert, wenn Hitler '44 gestorben wäre. Wär aus seinen Reihen hätte die Macht übernommen oder es versucht? Hätte es überhaupt noch eine einheitliche Führung gegeben oder wäre die Regierung in internen Machtkämpfen untergegangen, während "draussen" der Krieg immer noch weitergeht?

Denn der Krieg wäre weitergegangen. Stalin wollte soweit nach Westen wie möglich. Ich weiß nicht, wie weit die Verhandlung zwischen den Allierten zum Zeitpunkt des Attentats gelaufen sind, eventuell hätte eine Teilkapitulation nur der Westfront also den eisernen Vorhang mehr in den Osten Mitteleuropas verschoben. Das Deutschland der Vorstellung der Putschisten nach sich den Allierten quasi anschließt, um gegen die SU zu kämpfen, halte ich für vollkommen utopisch. Churchill war sich sehr viel mehr als Roosevelt über die Gefährlichkeit Stalins bewußt, wollte aber partout nicht mit Deutschland verhandeln. Roosevelt träumte von der UNO und realisierte die sich nähernde Konfrotation der Supermächte in der Nachkriegszeit nicht.

Und was wäre aus einem größerem, ungeteiltem Nachtkriegsdeutschland geworden? In einem Nachkriegsszenario, in dem die SU ihre Hegemonie nicht soweit hätte ausweiten können, da ihr die Legitimation des Krieges gefehlt hätte, wäre auch die Rolle des zukünftigen Deutschlands nicht sehr viel kleiner gewesen? Wie sähe eine Besatzungspolitik ohne Sowjets aus?


Nur mal so angedacht, Arminus.

Sir H. Dowding
20.07.04, 16:01
Zur Teilkapitulation Deutschlands an der Westfront und der von Arminus erdachten Szenarien einer Verschiebung des Eisernen Vorhang:

Die Besatzungszonen waren bereits ausgehandelt, vielleicht konnte man sich über Grenzen noch nicht einigen, aber wer bitte hätte es verteidigen können, der Sowjetunion, nach 20 Millionen Toten keine Besatzungszone in Deutschland zukommen zu lassen? Und wie hätten die Sowjets reagiert, hätten die Westalliierten plötzlich gesagt "Okay, Hitler ist tot. Wir gehen nach Hause, der Krieg ist vorbei. Ja, Deutschland darf ruhig gegen die Sowjets weiterkämpfen und Österreich und tschechien behalten. Viel Spaß!"

Es wäre dann halt vielliecht eine regierung Beck akzeptiert worden, Deutschland wäre aber trotzdem besetzt worden und Nazis entfernt und vor Gerichte gestellt. Und wie Arminus schon sagte, die Putschisten waren keine lupenreinen Demokraten, sondern konservativ, maximal bürgerlich-liberal, aber eher Monarchisten als Republikaner.

von Holstein
20.07.04, 16:04
@Holstein: Was für Wahlen? :???:
Dagegen sprechen 2 Dinge:
Die Durchführbarkeit. Wäre es '44 überhaupt noch möglich, Wahlen durchzuführen? Wer hätten denn überhaupt kandidieren können? Die NSDAP hatte doch alles daran gesetzt, jegliche Opposition auszuschalten und damit ja Erfolg gehabt. Wer bitte geht wählen, wenn man ständig der Gefahr unterliegt, dass das Wahllokal ausgebombt wird? Dazu noch ein Großteil aller Wahlberechtigten an der Front oder in Kriegsgefangenschaft... :nein:
Der Wille. Hätten die Putschisten wirklich Wahlen gewollt. Ich kann mir das nicht vorstellen. Schließlich waren es doch alles Militärs. Und die hatten seit dem Ende des 1. Weltkrieg nun wirklich keine guten Erfahrungen mit Demokratie gemacht...

Da habe ich mich ungenügend ausgedrückt.
Meine Frage bezog sich auf eine mögliche Umwandlung des Reiches in eine Zivilgesellschaft NACH Beendigung aller Kampfhandlungen.
Mit Eurer Ausführung zum "Willen" habt Ihr ja auch schon eine Antwort gegeben.

von Holstein
21.07.04, 01:36
Ich möchte an dieser Stelle einmal eine Zusammenfassung versuchen:

A. Hätten die Verschwörer sich überhaupt gegen die SS und Hitlertreuen Kräfte durchsetzen können ?

von Manstein – Ein Erfolg des Putsches in Berlin erscheint zweifelhaft.
Imperativ – Der gesamte Putsch war aufgrund seiner Amateurhaftigkeit zum Scheitern verurteilt. Selbst wenn Hitler ums Leben gekommen wäre, hätte die bessere Organisation des Regimes einen Staatsstreich verhindert.Die Rolle Stauffenbergs als Attentäter wird durchaus kontrovers gesehen, da er nicht unmittelbar mit seinem Leben für den Erfolg der Mission eintrat.
Arminus – Eine Übernahme der Regierungsgewalt durch die Putschisten erscheint zweifelhaft. Die Verschwörer werden wegen den Unwägbarkeiten eines Umsturzes an sich jedoch in Schutz genommen.Die Frage der Nachfolge Hitlers nach dessen Tod wird aufgeworfen. Wer seiner Paladine hätte die Nachfolge übernommen. (an sich gerissen ??)

Fazit: Selbst bei einem erfolgreichen Anschlag gegen Hitler werden die Chancen der Verschwörer zur Regierungsübernahme als gering angesehen.

Zitate:
von Manstein:Nun, in Paris hatte der Staatsstreich bekanntlich geklappt. In Berlin andererseits, vertraute man auf Leute, wie bspw. einen Major Rehmer (wohlgemerkt einen regimetreuen Soldaten) der das Regierungsviertel abriegeln und u.a. Göbbels verhaften sollte.
Imperativ: Analysieren wir …. wieso das Ganze einfach zum Scheitern verurteilt war.Stauffenberg war ja bekanntlich die "treibende Kraft" hinter dem Ganzen - das alleine ist schon ein Witz, wenn zig hochrangige Generale es einfach nicht auf die Reihe kriegen ihren Arsch hochzukriegen. Diese "Unentbehrlichkeit" Stauffenbergs führte letztendlich auch dazu, dass dieses Attentat auf Hitler eigentlich….nie wirklich erfolgreich hätte sein können.Sprich, der Attentäter - in dem Fall Stauffenberg - hätte niemals ohne eigenen Einsatz dieses Attentat verüben dürfen. Er hätte mit seinem Leben dafür sorgen müssen das dieses Attentat gelingt, also mit "seinem" Führer in die Luft fliegen müssen - denn nur so wäre ein Erfolg wahrscheinlich gewesen.Die übrige Ausführung dieses Putsches war ohnehin an Amateurhafter Idiotie nicht mehr zu überbieten. Unklare Vorstellungen, schlecht ausgearbeitete Pläne und die Ausführung auch aufgrund schlechter Menschenkenntnis waren die entscheidenden Faktoren. Ich behaupte selbst wenn Hitler tot gewesen wäre, so wäre dieser Putsch ebenso verlaufen, denn das "Teamwork" des Regimes war einfach zigfach besser als das der Verschwörer.Die Effektivität des Regimes fehlte leider….Einen überlegenen Feind kann man eben nur mit seinen eigenen Mitteln schlagen….….Attentäter gab es eigentlich gar keinen, denn….ein Attentäter führt dieses Attentat auch aus und das hat Stauffenberg….nicht getan. Ich denke die Verschwörer waren in der Tat in gewisser Weise Verräter, aber nicht am Führer, sondern an ihrer eigenen Sache.
Arminus: Das die Putschisten am Ende die Regierungsgewalt über das Deutsche Reich innehätten, ist auch für mich unvorstellbar. Trotzdem geht Ihr mir meiner Meinung nach mit den Putschisten zu hart ins Gericht. Natürlich kann man heute mit dem Überblick über die Fakten leicht sagen, dass die Aktion anfängerhaft war. Allerdings ist ein Putsch ähnlich wie ein Krieg ziemlich unberechenbar. Woher sollten diese Menschen denn wissen, wem sie wirklich trauen konnten. Woher sollten die Generäle, beteiligt oder nicht, denn wissen, wie sie handeln sollten?Interessanter ist also die Frage, was wäre passiert, wenn Hitler '44 gestorben wäre. Wer aus seinen Reihen hätte die Macht übernommen oder es versucht? Hätte es überhaupt noch eine einheitliche Führung gegeben oder wäre die Regierung in internen Machtkämpfen untergegangen, während "draußen" der Krieg immer noch weitergeht?

B. Wie ich gelesen habe hatten die Westalliierten kein Interesse an Friedensverhandlungen mit dem Reich, sie lehnten Gespräche konsequent ab. Ist das korrekt ?Wäre eine bedingungslose Kapitulation im Westen und ein Weiterführen des Krieges im Osten möglich gewesen ?Hätte das Reich diesen Krieg gegen die Sowjetunion noch gewinnen, oder zumindest die Front halten können?

von Manstein – Kein Separatfrieden im Westen. Bedingungslose Kapitulation Deutschlands selbst bei erfolgreichem Umsturz.
Imperativ - Bedingungslose Kapitulation war schon längst beschlossen.
Elias – mögliches früheres KriegsendeArminus – Kein Separatfrieden, mögliche Verschiebung des „eisernen Vorhanges“ nach Osten.
Sir H. Dowding - Besatzungszonen waren bereits ausgehandelt.

Fazit:
Selbst bei der (unwahrscheinlichen) Regierungsübernahme durch die Putschisten hätte die Landkarte 1947 wohl so ausgesehen wie in der Realität. Möglicherweise wäre der Krieg früher beendet worden.

Zitate:
von Manstein: Ich glaube Churchill hat einmal gesagt: "Warum sollte ich mit Personen reden/ zusammenarbeiten, die versuchen ihren eigenen Staatschef umzubringen?"Ich glaube nicht, dass ein Separatfrieden im Westen möglich gewesen wäre. Es gab zwar Pläne, nach dem erfolgreichen Attentat die Front zu öffnen und die Amis durchzulassen, doch wurden diese durch den Ausfall Rommels zunichte gemacht. Die Koalition der Alliierten war sich einig Deutschland zu besiegen und niederzuwerfen, da hätte ein Umsturz sicherlich nichts dran geändert.
Imperativ: Ich denke sehr viel hätte sich rein "rechnerisch" auch nicht durch den Tod Hitlers verändert, dazu war die ganze "Sache" schon zu weit fortgeschritten.Und selbst wenn es gelungen wäre, wieso sollte der designierte Sieger mit dem designierten Verlierer etwas aushandeln, wodurch die Position der Siegermächte geschwächt würde? Bedingungslose Kapitulation war da schon längst beschlossen.
Elias: Ob und wie der Krieg früher zuende gegangen wäre, hätte der Anschlag Erfolg gehabt, vermag natürlich niemand mit letzter Gewissheit zu sagen. Da das 3. Reich jedoch sehr auf die Person Hitler zugeschnitten war, muss man zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen, selbst wenn die Attentäter um Stauffenberg es nicht geschafft hätten die Regierungsgewalt zu übernehmen.….auf jeden Fall hätte es die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reiches gemindert.
Arminus: Denn der Krieg wäre weitergegangen. Stalin wollte soweit nach Westen wie möglich. Ich weiß nicht, wie weit die Verhandlung zwischen den Alliierten zum Zeitpunkt des Attentats gelaufen sind, eventuell hätte eine Teilkapitulation nur der Westfront also den eisernen Vorhang mehr in den Osten Mitteleuropas verschoben. Das Deutschland der Vorstellung der Putschisten nach sich den Alliierten quasi anschließt, um gegen die SU zu kämpfen, halte ich für vollkommen utopisch. Churchill war sich sehr viel mehr als Roosevelt über die Gefährlichkeit Stalins bewusst, wollte aber partout nicht mit Deutschland verhandeln. Roosevelt träumte von der UNO und realisierte die sich nähernde Konfrontation der Supermächte in der Nachkriegszeit nicht.Und was wäre aus einem größerem, ungeteiltem Nachtkriegsdeutschland geworden? In einem Nachkriegsszenario, in dem die SU ihre Hegemonie nicht soweit hätte ausweiten können, da ihr die Legitimation des Krieges gefehlt hätte, wäre auch die Rolle des zukünftigen Deutschlands nicht sehr viel kleiner gewesen? Wie sähe eine Besatzungspolitik ohne Sowjets aus?
Sir H. Dowding: Zur Teilkapitulation Deutschlands an der Westfront und der von Arminus erdachten Szenarien einer Verschiebung des Eisernen Vorhang: Die Besatzungszonen waren bereits ausgehandelt, vielleicht konnte man sich über Grenzen noch nicht einigen, aber wer bitte hätte es verteidigen können, der Sowjetunion, nach 20 Millionen Toten keine Besatzungszone in Deutschland zukommen zu lassen? Und wie hätten die Sowjets reagiert, hätten die Westalliierten plötzlich gesagt "Okay, Hitler ist tot. Wir gehen nach Hause, der Krieg ist vorbei. Ja, Deutschland darf ruhig gegen die Sowjets weiterkämpfen und Österreich und Tschechien behalten.“

C. Was wäre innenpolitisch wohl geschehen, wohin hätte sich das Reich unter einem Präsidenten Gördeler entwickelt?Wie hätten in freien Wahlen dann wohl die SPD oder die Nationalen Kräfte abgeschnitten?Hätte sich eine CDU gebildet ?

Arminus, Sir H. Dowding - Putschisten hatten kein wirkliches Interesse an einer Demokratie westlichen Vorbilds.
von Manstein – Die Widerständler waren sich in ihren Zielsetzungen nicht einig.
Elvis, Gettysburg - Der totale Zusammenbruch war nötig für den totalen Wiederaufbau.
Elias – Ein Tod Hitlers hätte dem deutschen Volk viel Leid erspart.
AR stellt die Frage welche Alternative moralisch wünschenswerter gewesen wäre.

Fazit:
Die Putschisten hatten keine einheitlichen Vorstellungen über das, was nach einem Putsch innenpolitisch zu geschehen hätte. Der Wunsch nach der Errichtung einer Demokratie westlicher Prägung erscheint zweifelhaft.

Zitate:
Arminus: Der Wille. Hätten die Putschisten wirklich Wahlen gewollt? Ich kann mir das nicht vorstellen. Schließlich waren es doch alles Militärs. Und die hatten seit dem Ende des 1. Weltkrieg nun wirklich keine guten Erfahrungen mit Demokratie gemacht.
von Manstein: Hätte der Umsturz geklappt, hätte man erst einmal den Generaloberst Beck als Staatschef gehabt. Selbst die Widerständler waren sich nicht einig, was denn nun geschehen soll. Demokratie? Monarchie?
Elvis: Wenn das Attentat geglückt wäre, [hätte] die Geschichte vielleicht andere Schlussfolgerungen aus dem 2.Weltkrieg gezogen. Das Ausmaß der Zerstörungen [war] vielleicht nötig, um einen 3.Weltkrieg zu verhindern.Wenn das Attentat geglückt wäre, [würden] vielleicht viele noch heute glauben, das…. Hitler das geschafft hätte.
Gettysburg: Das Beste was uns - aus unserer heutigen Sicht wohlgemerkt - passieren konnte war, dass das Attentat gescheitert ist.Was wären die Konsequenzen des Attentats….gewesen? Wie hätte das deutsche Volk denn….reagiert? Hätte es die Widerstandskämpfer denn wirklich als Helden angesehen? Hätte es den Kampf, den sie geführt haben, wirklich als ehrenhaft und notwendig verstanden? War denn der Mehrheit des deutschen Volkes wirklich klar, dass der Krieg zu diesem Zeitpunkt schon längst verloren war?Gettysburg beantwortet diese Fragen mit einem klaren: Nein !Und nun möchte man uns heute erzählen, mit dem Tod Hitlers und einem erfolgreichen Putsch wäre den Deutschen im Laufe der nächsten Jahre angesichts der Verbrechen klar geworden, dass das Attentat notwendig und ehrenhaft war? Man sieht….dass [für] die drohende militärische Niederlage.…die einfachste Erklärung gesucht wurde: Verrat. Adolf Hitlers Beliebtheit war im Jahre 1944 noch ungebrochen und der Glaube an den Führer bestand aufgrund der in ihrem Sinne ausgezeichneten Nazi-Propaganda ungebrochen.Mit anderen Worten: Im Entstehen war nichts anderes als eine zweite große "Dolchstoß-Legende", von der wir heute zum Glück verschont geblieben sind, weil:....mit dem Zusammenbruch des deutschen Reiches endlich ein totaler Neuanfang gestartet werden konnte, der im Wiederaufbau, der Wiedereingliederung Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft, dem Wirtschaftswunder und dem heutigen internationalen Ruf Deutschlands….enden konnte.Der totale Zusammenbruch war nötig für den totalen Wiederaufbau. Und ein erfolgreiches Attentat auf Hitler hätte diesen auch moralisch-geistigen Zusammenbruch verhindert.
Augustus Rex: Ansonsten ist es sicher eine zutiefst moralische Frage, was einem lieber wäre:- Die "geistige Volksgesundheit" durch die volle, harte Wahrheit bis zum bitteren Ende im Mai 45 - so, wie geschehenoder- das Leben von ca. einer Million deutschen Soldaten, die im letzten Kriegsjahr gefallen sind.
Elias: Ob man die Nazi-Diktatur dann heute anders sehen würde? Ob man eine zweite Dolchstoßlegende gestrickt hätte?Vielleicht....Aber das Ausmaß des Verbrechens und die Ungerechtigkeit und Ungerechtfertigkeit dieses Krieges war doch auch 1944 genau so groß wie 1945.Darum, klarer Fall: Was auch immer letztendlich passiert wäre, ein toter Führer und/oder ein erfolgreicher Staatsstreich wäre in jedem Fall besser gewesen als die Hölle des letzten Kriegsjahres.
Sir H. Dowding: Es wäre dann halt vielleicht eine Regierung Beck akzeptiert worden, Deutschland wäre aber trotzdem besetzt worden und Nazis entfernt und vor Gerichte gestellt. Und wie Arminus schon sagte, die Putschisten waren keine lupenreinen Demokraten, sondern konservativ, maximal bürgerlich-liberal, aber eher Monarchisten als Republikaner.

Zusammenfassung:
Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges der Putschisten war gering.
Die totale Kapitulation des Reiches und seine Einteilung in Besatzungszonen erscheint im Juli 1944 unvermeidlich.
Eine demokratische deutsche Republik war wohl nicht das Ziel der Verschwörer.

Bewertung:
Der Putsch vom 20. Juli 1944 wurde von nicht-demokratischen Kräften in aussichtsloser militärischer Lage und in dilettantischer Weise ausgeführt.
Die Bedeutung dieses Vorhabens kann aus heutiger Sicht wohl nur in deren Symbolik bestehen: Das deutsche Volk findet in den Attentätern Identifikationsfiguren, die geeignet sind eine subjektiv empfundene Kollektivschuld zu entlasten.

Zum Abschuss ein versöhnliches Schlusswort zum persönlichen Mut der Akteure des 20. Juli aus der Feder Gettysburgs:
Nichtsdestotrotz war das Handeln der Offiziere mehr als bewundernswert und mögen sie auch aus unterschiedlichen Beweggründen....gehandelt haben, so ist es doch ein Stück deutscher Selbstfindung, dass es in dieser Zeit einen kleinen organisierten Widerstand gegeben hat, der zum äußersten entschlossen war und bereit gewesen ist, alles dafür zu geben. Die Opfer, die die Attentäter....dabei bringen mussten verdienen es allein, sie in der heutigen Art und Weise zu ehren. Sie taten das, was sie als nötig erachteten, um weiteren Schaden von ihrem Land abzuwenden.

Imperativ
21.07.04, 13:22
Gut, dann mal auch von mir einige "Abschlussworte". ;)

Zunächst sehe ich die Rolle Stauffenbergs in diesem gut gemeintem Possenspiel tatsächlich etwas kritischer als die große Masse der "das sind Helden, die sind unfehlbar, hatten eben Pech"-Verfechter. Aber vielmehr sehe ich die Schuld für das so klägliche Versagen nicht direkt bei Stauffenberg, sondern bei seinen Mitverschwörern. Ich habe mich sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt, und Stauffenberg war mitnichten nicht bereit, sein Leben für die Sache zu opfern. Vielmehr das vehemente Pochen der übrigen Rädelsführer, dass Stauffenberg UNBEDINGT wieder nach Berlin müsste, ließ ihn letztlich von seinem Vorhaben abweichen.

Ich gebe zu das die Verschwörer bezüglich dieses 20 Juli in arger Bedrägnis waren. Nur Stauffenberg war zu diesem Zeitpunkt in der Lage nahe genug an den Führer heranzukommen, sollte er doch einen Vortrag über Sperrdivisionen halten. Allerdings war dies auch ein verhängisvoller Umstand, denn Stauffenberg war eben - was sich ja auch später deutlich zeigte - ein unentbehrliches Stück in den Planungen der Verschwörer. Vielleicht wäre es besser gewesen eine andere Gelegenheit abzuwarten, allerdings wer wusste schon ob diese überhaupt kommen würde?

Der Putsch scheitere aus meiner Sicht dann schon an der Benachrichtigung von der Wolfsschanze nach Berlin. Es war ein genauer Text festgelegt worden, damit man genau wusste ob Hitler tot war oder nicht. Allerdings wurde dieser Text dann so "zweifelhaft" übermittelt, dass man damit nichts anfangen konnte. Ich selbst hätte nach wie vor nur einen "Code" verwandt - Attentat ausgeführt. Sobald die Bombe hochgegangen war, wäre es ohnehin egal gewesen ob Hitler tot war oder nicht. Nach diesem Punkt gab es einfach kein zurück mehr, da hieß es handeln oder gleich eine Kugel in den Kopf und sich dem Zugriff der Häscher entziehen.

Es hätte sofort gehandelt werden müssen und ich hätte mir mehr Stauffenbergs in den Reihen der Verschwörer gewünscht, denn dann wäre es vielleicht "erfolgreicher" verlaufen. An sich hätte ich gerade in dieser Situation die Taktik des Verhandelns - vorausgesetzt die Helferkette wäre nicht zerbrochen - aufgegeben und hätte kurzerhand die Westfront kapitulieren lassen. Selbst wenn der Putsch dann schiefgelaufen wäre - was ich eigentlich zu fast 100% immer als Ende sehen würde - wäre Hitler vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

Abschließend bin ich nicht von dem Versuch enttäuscht - moralisch, auch wenn ich persönlich denke das die Nachwelt da deutlich mehr "gute Vorsätze" reininterpretiert hat als es diese wirklich gab -, aber von der Auführung. Ich meine das waren doch keine "dummen" Zivilisten, oder einfache Soldaten, das waren "durchgehend" hochrangige Offiziere und Generale die für solche Situationen, das Planen, das Organisieren usw. ausgebildet wurden. Ich hätte mir von solchen Leuten eine etwas ernsthaftere Durchführung erwartet.

Luitpold
21.07.04, 19:47
Wie schon erwähnt, hätte der Putsch selbst bei günstigeren Anfangserfolgen (Tod Hitlers) kaum erfolgreich durchgeführt werden können.
Der Umsturzversuch war eigentlich nur ein mehr oder weniger umfangreiches Täuschungsmanöver der Verschwörer. Das Hauptproblem war, daß sie kaum in der Lage gewesen wären, genügend Einheiten auf ihre Seite zu ziehen.

Überlebte Hitler, wie geschehen, konnte man ohnehin nicht auf "fremde" (Wehrmachts-)Hilfe zählen.
Wäre Hitler gestorben (und eine Reihe von führenden NS-Politikern wie auch immer "ausgeschaltet" worden), hätten die verschwörer immer noch den Großteil der Wehrmachtsgeneralität überzeugen müssen, daß sie die neuen rechtmäßigen Inhaber der Staatsgewalt seien. Bei der Zusammensetzung der Verschwörergruppe, wäre ihnen das wohl schwergefallen.

Arminus
23.07.04, 11:00
Am heute lustigerweise ne Email von nem Freund zugeschickt bekommen, die indirekt was mit dem Thema zu tun hat. Im Anhang war das hier:


Der Führer in Farbe
Gedenken an Stauffenberg rund um die Uhr: Das Fernsehen ist verliebt in alles, was mit Hitler, seinen Schergen und Feinden zu tun hat. Nicht ohne Folgen: Unser Geschichtsbild ist dabei, sich zu verändern

VON ROBIN ALEXANDER

Mit dem Nationalsozialismus ist es wie mit dem Fußball: Das Fernsehen kann nicht genug davon bekommen. Wer am Sonntag, gestern und heute alle Sendungen anschaut, die sich mit Deutschlands dunklen Jahren beschäftigen, hat gut zu tun: Von "Carl Wentzel-Teutschenthal - Ein deutsches Schicksal" (Sonntag MDR) über "Netzwerk - Adam von Trott zu Solz und der 20. Juli 1944" (Montag, BR) bis "Botho Henning Elster - Ein deutscher Held" (Dienstag, HR) kann der Zuschauer aus 16 Beiträgen auswählen - an nur drei Abenden.

Quotentechnisch gesehen ist der deutsche Widerstand eine Europameisterschaft und der 60. Jahrestag des 20. Juli 1944 das Finale: Dummerweise konnte man sich nicht über die Rechte einigen, und so haben ARD und ZDF konkurrierende Stauffenberg-Großprojekte in Auftrag gegeben. Auch die Spartenkanäle versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen: Arte zeigte gestern den Spielfilm "Stauffenberg" und das frische Dokudrama "Die Stunde der Offiziere" hintereinander, beim SWR gibt es heute mit dem Spielfilm und drei Folgen "Offiziere gegen Hitler" fünf Stunden Widerstand am Stück.

Nun muss man in Sachen Vergangenheitsbewältigung mit Kritik am Fernsehen vorsichtig sein. Denn das Medium hat sich gewissermaßen Verdienste erworben. Nicht - wie oft und falsch behauptet - die 68er entrissen die Judenvernichtung der allgemeinen Verdrängung durch die Deutschen, sondern die US-amerikanische Fernsehserie "Holocaust" im Jahr 1979.

Was Fernsehen mit seinen Stoffen macht (Personalisierung, Dramatisierung, Emotionalisierung), galt natürlich schon immer auch für Dokus und Fernsehspiele über die NS-Zeit. Aber in den vergangenen zehn Jahren ist das TV-Erinnern industrialisiert worden: Ganze Jahrgänge wurden im Oral-History-Stil einvernommen, die Beiträge werden quotenträchtig formatisiert, und die Anzahl der Sendungen hat sich explosionsartig vermehrt. Aus Geschichte wurde "History": Das hat Folgen.

Weniger für Menschen, die schon ein solides Geschichtsbild haben. Wer über die Strukturen des NS-Regimes Bescheid weiß, für den sind die wieder und wieder gezeigten Bilder vom lächelnden Hitler am Obersalzberg nur eine Illustration. Etwas ganz anderes aber bedeuten diese Bilder für Menschen, deren Geschichtsbild sich erst formt.

In der ersten Nachkriegsgeneration konkurrierte Vaters Bericht mit dem Schulbuch. In der nächsten Generation verlor Opa gegen das institutionell vermittelte historische Wissen, weil Mutter, Vater und die Medien seine Einschätzung anzweifelten. Heute holt History TV den Uropa als Zeugen zurück: Über die Zeitzeugeninterviews spricht er direkt mit dem Enkel.

Bevor ein Kind zum ersten Mal in der Schule mit dem Nationalsozialismus konfrontiert wird, hat es heute via Fernsehen und nachgelagerte Medien bereits ein Bild davon vermittelt bekommen. Ein ganz bestimmtes: Die Dramatisierung des Stoffes - notfalls mit nachgespielten Szenen - zwingt zu einem akteurzentrierten Erzählstil: Jeder einzelne der 20.-Juli-Verschwörer erhält seinen eigenen Film, noch die Kinder und Kindeskinder werden porträtiert, und in Tageszeitungen schreiben die Nichten über das Leben der Witwen: überall nur individuelle Schicksale und einsame Gewissensentscheidungen, nur am Rande Strukturen und Zusammenhänge. Personenkult gibt es auch auf der Täterseite: Nicht nur Hitler, sondern auch jeder seiner Satrapen und Hofschranzen ist längst mit einem eigenen Fernsehfilm bedacht. Selbst "Die Frauen der Nazis" bekommen eine eigene Film- und Buchreihe, obwohl die Biografien von Magda Goebbels und Emmy Göring für das Verstehen der NS-Zeit durchaus entbehrlich sind. Aber auch seriöse Beiträge in diesem Genre stehen - wenn es so dominiert - der Erkenntnis im Weg: Ursachen, Bedingungen und Ablauf der Judenvernichtung erklären sich eben weder durch die Person Himmlers noch durch eine plastische Schilderung der Atmosphäre der Wannseekonferenz.

Immer noch produziert die Forschung neue Erkenntnisse über die Nazi-Zeit: Etwa wie stark die Sozialsysteme des Reichs von der Enteignung der Juden profitierten. Als Sensation verkauft werden jedoch neu aufgefundene Farbfilme von Hitler.

Schließlich verzerrt die schiere Masse der Beiträge zum Nationalsozialismus das Geschichtsbild: "Es gab doch nicht nur die zwölf Jahre", war früher ein Argument der Relativierer. Wenn sich der Nationalsozialismus im öffentlichen Bewusstsein aber tatsächlich nicht nur vor die DDR und die junge Bundesrepublik schiebt, sondern auch vor Weimar, den Ersten Weltkrieg und die Kaiserzeit, ist dies schon ein Problem. In der fernsehvermittelten Geschichte scheint eine Figur wie Rudolf Heß irrtümlich wichtiger als Franz von Papen oder Heinrich Brüning. Die Beweggründe von Stauffenberg wirken folgenreicher als die Motive der Führung der demokratischen Parteien vor 1933. So droht das grenzenlos detailverliebte Porträt des Nationalsozialismus den Blick auf seine Ursachen zu verstellen.

taz Nr. 7413 vom 20.7.2004, Seite 14, 169 Zeilen (TAZ-Bericht), ROBIN ALEXANDER

701
03.08.04, 03:56
Wie war der Satz in der Doku?
Es musste Scheitern damit die Menschen in Deutschland nicht sagen/denken konnten/können.
"Mit Hilter hätten wir noch gewonnen"

Ich glaub der Satz sagt alles oder?